Am Pult sitzend wird nur der Schulmeister von Esslingen (Tafel 96) gezeigt, aber auch dieser führt lediglich die grüne Rute, Symbol der Grammatik, und keine Schreibfeder in der Hand. Dennoch ist ist der Magister sicher des Lesens und Schreibens kundig gewesen.
Da zu jener Zeit nur das Schreiben lernen konnte, wer zuvor das Lesen erlernt hatte, sind auch die in der Liederhandschrift anzutreffenden Abbildungen Lesender kein Indiz für deren Schreibkundigkeit.
Wenig geeignet für die Behauptung der Illiteralität zumindest eines Teils der in der Großen Heidelberger Liederhandschrift ist die Abbildung des Herrn Reimar von Zweter. Dieser war, wie man inzwischen weiss, blind und somit nicht in der Lage, selbst zu schreiben. Dennoch möchte ich gerade sein Bild hier zeigen, sind doch darauf die beiden wesentlichen Schreibformen - die auch für den Kaufmann von Bedeutung waren - exemplarisch wiedergegeben: Notizen und Entwürfe wurden auf Wachstafeln festgehalten, erst die Ausfertigung bzw. Reinschrift wurde auf Pergament niedergelegt.
Zum Ende des 15. Jahrhunderts konnten im Reich 10 bis 30 % der städtischen Bevölkerung lesen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten lag die Zahl derer, die auch schreiben konnten, kaum unter diesem Wert (Wendehorst 1986, S. 32). Wenn man nun berücksichtigt, dass der weitaus überwiegende der Bevölkerung nicht in städtischen Gebieten lebte und dass im ländlichen Umfeld die Literalität deutlich niedriger anzusetzen ist, kommt man für den Beginn des 14. Jahrhunderts auf einen verschwindend geringen Bevölkerungsteil, der lesen und schreiben konnte.
Quellen und Literatur: | |
nach: Alfred Wendehorst: Ingo F. Walther / Gisela Siebert: |
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© Manfred Wolber | Letzte Aktualisierung: 10.11.2002 |