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Nähzeug

Fingerhüte

Bei dem den Finger vor dem Druck des Nadelendes schützenden Werkzeug wird unterschieden zwischen dem Fingerhut (kleines Eimerchen) und dem Nähring (ringförmiges Werkzeug ohne Schutz für die Fingerkuppe). Der Nähring wird heute auch als Schneiderfingerhut bezeichnet. Beide Werkzeuge weisen Vertiefungen, die sogenannte Lochung auf, die das Nadelende am Abrutschen hindern soll.

Obwohl es uns heute seinem Wesen nach als äußerst profan erscheint, ist die Geschichte des Fingerhuts weder so alt noch so geradlinig, wie man vermuten könnte. Doch dies ist ein Thema, das den Umfang der hier zu gebenden kurzen Übersicht deutlich sprengen würde.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts gab es zwei grundlegende Techniken der Fingerhutherstellung in Messing: der Guss des kompletten Fingerhutes oder Nährings oder das Verlöten aus Blechen vorgeformter Teile (Wand und Kappe). Die Technik des Tiefziehens (= aus einer runden Metallscheibe wird in mehreren Stufen der 'kleine Eimer' für den Fingerhut geformt.), wie sie seit dem 16. Jahrhundert insbesondere in Nürnberg in Gebrauch kam, war zu Beginn des 14. Jahrhunderts praktisch nicht möglich. Tiefziehfähiges Messing setzt eine exakte metallurgische Komposition voraus. Der Anteil von Zink war aber kaum in der notwendigen Genauigkeit zuzusetzen, solange nur Galmei (= Zinkerz) zur Verfügung stand. Erst als man metallisch reines Zink zur Verfügung hatte, liess sich Messing in gleichmäßiger und tiefziehfähiger Qualität herstellen. Erst danach konnten Messingfingerhüte mit Form und Stempel geschlagen werden. [1]

Nähringe und Fingerhüte aus Kupferlegierungen, aber auch aus anderen Metallen, sind aus der Zeit um circa 1310 nach derzeitigem Kenntnisstand in Europa nicht überkommen bzw. nicht mit letzter Sicherheit dieser Zeit zuzuweisen.

In London wurde eine große Anzahl Fingerhüte und auch Nähringe aus Messing und Bronze gefunden und dokumentiert [2], von denen aber nur die Nummer 814 der für uns bedeutsamen Keramikphase 9 (ca. 1270 - 1350) zugeordnet werden konnte. Dieser Nähring ist nach den Angaben im Katalog unvollständig. Daher ist es nicht möglich, eine präzisere Datierung vorzunehmen.
Die Nummern 821 (und die nicht abgebildete 822) gehören noch zur angrenzenden Keramikphase 10 (ca. 1330 - 1380), sind aber leider nicht dem für uns relevanten Zeitraum zuzuordnen.
In allen Fällen ist die Lochung gebohrt.
 
Selbst die Provenienz der Fingerhüte ist nicht zweifelsfrei ermittelbar. Man muss bedenken, dass Fingerhüte bis weit ins 16. Jahrhundert nach England importiert [3] wurden.  
Egan S. 267
Tannenberg Tafel VIII - M Die Burg Tannenberg an der Bergstraße wird 1399 völlig zerstört und in der folgenden Zeit nie wieder aufgebaut. Somit ist ein 1848 in der Ruine gefundener gegossener Fingerhut mit gebohrter Lochung sicher in die Zeit vor der Zerstörung zu datieren. Er befand sich im Kabinettsmuseum von Darmstadt, wo er während des zweiten Weltkrieges verbrannte. Daher existieren heute nur noch Abbildungen aus alten Unterlagen [4]
.
Dieser Fingerhut ist dem Tannenberger recht ähnlich, besitzt jedoch eine etwas spitzere Kappe. Bei beiden Fingerhüten ist auf Grund der runden Löcher deutlich erkennbar, dass die Lochung gebohrt wurde. Die Löcher wurden noch senkrecht angeordnet, nicht in einer zur Spitze der Kappe aufsteigenden Spirale, wie sie ab dem 15. Jahrhundert überwiegend für Nürnberger charakteristisch wurde. gegossener Fingerhut mit gebohrter Lochung
Mendelsche Zwölfbruderstiftung Seit etwa der Mitte des 14. Jahrhundert sind in Nürnberg Fingerhutmacher (Fingerhüter) nachzuweisen, z.B. durch das Mendelsche Stiftungsbuch, das um 1400 verzeichnet, dass der 16. Bruder Vingerling hieß. Zu dieser Zeit gehörten die Fingerhüter noch zu den sogenannten freien Künsten, die durch jedermann ausgeübt werden durften.
Die Abbildung zeigt, wie die Lochung mit der Dreule in die Fingerhüte gebohrt wurde. Diese aufwändige Technik war notwendig, da sonst die Gefahr bestanden hätte, dass der gegossene Fingerhut unter der Wucht des Schlages (s. u.) gesprungen wäre.

In der Zeit zwischen der obigen und der untenstehenden Abbildung hat sich die Technik der Fingerhutherstellung drastisch verändert.

1568 erscheint das Buch Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden, Hoher und Niedriger, Geistlicher und Weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln u.a. mit einer Illustration von Jost Amman, die einen Fingerhüter-Meister mit seinem Gesellen in der Werkstatt bei der Arbeit zeigt. Der Geselle schlägt mit einem stempelartigen Werkzeug dir Form, der Meister mit einem kleineren die Lochung. Hans Sachs schrieb dazu die Verse: "Aus Messing mach ich Fingerhüt / Blechweiß / werden im Feuwer glüt / Denn in das Eysen glenck getriebn / Darnach löchlein darein gehiebn / Gar mancherly art / eng und weit / Für Schuster und Schneider bereit / Für Seidensticker und Näherin / Des Handwercks ich ein Meister bin."
Daraus lässt sich schließen, dass die Bleche zunächst ausgeglüht werden, um sie weich zu machen. Danach wurden sie in eiserne Formen geschlagen, anschließend mit der Lochung versehen, wobei diese eingeschlagen wird.
Jost Amman

Es ist also derzeit eine Fundlücke bei den Realien festzustellen, die aber durch literarische Erwähnungen zu schließen ist.

Die Heilige Hildegard von Bingen, Äbtissin des Klosters auf dem Ruppertsberg, übersetzt um das Jahr 1150 ca. 900 Wörter, vorwiegend solche des täglichen Gebrauchs, in eine unbekannte Sprache, von der anzunehmen ist, daß es sich um einen Vorläufer des "Volapük" oder des "Esperanto" handelt. In diesem Wörterbuch findet sich unter anderem
vingerhuth = Ziriskranz (in einigen Fundstellen auch Zieriskranz oder Ziriskanz).
Dieser Eintrag lässt erkennen, dass dem Fingerhut von der Heiligen ein so hoher Stellenwert zugestanden wurde, dass er in den begrenzten Wortschatz des Wörterbuches Aufnahme fand.
Das mittelalterliche Deutsch kannte noch nicht den Buchstaben 'F'. Man benutzte statt dessen das 'V'.

Der Minnesänger Walter von der Vogelweide gedenkt um 1210 beim Anblick einer Fingerhutblume (Digitalis) eines anderen, "der schmückte den schönsten Finger".

In mittelniederdeutschen Wörterbüchern wird unterschieden:
  vingerlin, vingerlyn = Fingerhut und
  vingerrink, vingerin = Fingerring. [5]
Richtiger als "Fingerring" wäre die in der Fachliteratur gebräuchliche Bezeichnung "Nähring".

Hirsebrei - S. 433
 
Konstanz - Marktstätte und Fischmarkt, 14. Jahrhundert [6]

Auf einem fliegenden Blatt von 1621 findet sich der Spruch:
          Die Bader, Küfer, Fingerhüter,
          Bringen zusammen nicht viel Güter.
Das lässt erkennen, das mit der Herstellung von Fingerhüten keine Reichtümer zu erwerben waren.

Quellen und Literatur:

1   Manfred Wolber:
Rund um den Fingerhut
Trier: Wissenschaftlicher Verlag (WVT), 1990-92

2   Geoff Egan (et al.):
The Medieval Household. Daily Living c.1150-c.1450.
London, The Stationery Office

3   Edwin F. Holmes:
Sewing Thimbles. (= Datasheet 9)
Norwich (GB): Archaeology Department, 1986

4   Jacob Heinrich von Hefner und Johannes Wilhelm Wolf:
Die Burg Tannenberg und ihre Ausgrabungen
Frankfurt a.M.: Schmerber'sche Buchhagndlung (Nachf. H. Keller), 1850

5   Mittelniederdeutsches Handwörterbuch von August Lübben
Norden und Leipzig: Diedr. Soltau's Verlag, 1888

Dr. Karl Schiller und Dr. August Lübben:
Mittelniederdeutsches Wörterbuch
Bremen: J. Kühtmann's Buchhandlung, 1880
De temelike hande din De drogen golden vingerlyn (...)
  do stal he ein scrin der koniginnen dar vingerlin vele was anbinnen (Gerhard von Minden.)
  Von W. Seelmann, Bremen 1878 (Niederdeutsche Denkmäler, Bd. II)

6   Marianne und Niklaus Flueler (Hrsg.):
Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300
Stuttgart: Theiss, 1992
Katalog zur Ausstellung in Stuttgart

© Manfred Wolber     Letzte Aktualisierung: 10.02.2003

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